Löhne runter, Preise rauf? Die Politik muss in die Preise eingreifen

Bringen Arbeitnehmer das Opfer der Lohnzurückhaltung, müssen Arbeitgeber Preiseingriffe akzeptieren. Sonst drohen Konsumstreik und zunehmende Verarmung.
Österreichs exportorientierte Leit-Branche, die Metallindustrie, ist in einer Ausnahmesituation. Kündigungen und Kosteneinsparungsprogramme folgen am laufenden Band. Aufträge bleiben aus. In einigen Betrieben ist nur noch ein Drittel der Belegschaft da. Statt dem erhofften Aufschwung folgen Hiobsbotschaften. Die deutsche Autoindustrie hat so gravierende Managementfehler begangen, dass nun China bessere E-Autos baut. Österreichs Zulieferer leiden mit. Trumps Zollchaos benachteiligt ohnehin europäische Produzenten in den USA. Dazu kommt die Aufwertung des Euro, allein 15 Prozent seit Jahresbeginn. Das macht europäische Produkte unnötig teuer. Weiters bleiben die heimischen Energiepreise zu hoch.
Lohnverhandlungen in so einer Situation sind schwierig. Arbeitgeber tun sich leichter, Lohnabschlüsse unter der Teuerung durchzusetzen. Bleiben die Aufträge aus, schmerzt sie auch ein potenzieller Streik der Beschäftigten weniger.
Doch was heißt der Gehaltsabschluss für andere Branchen? Die Metall-Branche ist der hiesige „Lohnführer“, steht im internationalen Wettbewerb, und verhandelt deshalb als erste in der Herbstlohnrunde. Dass sich andere Branchen an ihr ausrichten, macht grundsätzlich Sinn. Doch wenn sich die Metallbranche nun „gesundschrumpft“, muss das auch über eine relative Lohnanpassung geschehen. Die Metaller haben fast immer höher abgeschlossen als der Handel oder die Sozialwirtschaft. Braucht die Metall-Branche nun weniger Leute, während anderswo händeringend gesucht wird, muss sich das in den relativen Löhnen widerspiegeln. Die Löhne müssen für Pflegekräfte, Zugpersonal oder Handelsbeschäftigte relativ stärker steigen als für Metaller. Insofern wären die Eisenbahner und der Handel gut beraten, einen eigenständigen Abschluss zu suchen.
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht braucht es keine Lohnzurückhaltung über alle Branchen. Preislich wettbewerbsunfähige Länder, etwa Griechenland oder Rumänien, kaufen viel mehr vom Ausland ein als sie dorthin verkaufen können. In Österreich ist das umgekehrt: Um 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung verkaufen wir netto mehr ans Ausland. Auch besitzen heimische Firmen und Haushalte 117 Milliarden Euro mehr an Vermögen im Ausland, als Ausländer bei uns. Tourismus und Industrie erwirtschaften – trotz Probleme – einen Überschuss. Das Land steht auf soliden Beinen.
Bleiben die Löhne in anderen Branchen hinter den Preisen, schadet das dem hiesigen Wachstum. Unser Wachstumsrückstand zu den anderen Euro-Ländern liegt zum größten Teil am privaten Konsum. Der schwächelt, weil die Teuerung hoch ist und die Leute wenig kaufen. Die Armen müssen, um über die Runden zu kommen, mehr ausgeben als sie eigentlich haben, während die Reichen ihr Vermögen in Aktien und Fonds stopfen. Kommt nun eine Zeit der großen Lohnzurückhaltung, drückt das zusätzlich auf den Konsum. Österreichs Schrumpfkurs setzt sich so fort.
Die Regierung muss daher bei den Preisen eingreifen. Einerseits, um die finanzielle Not unter den Menschen zu lindern. Die Zahl der Menschen, die in Armut leben, hat sich seit Beginn der Teuerung in Österreich verdoppelt. Mit realen Lohnkürzungen rutscht auch ein Teil der unteren Mittelschicht in die Armut ab. Andererseits: Österreichs internationale Wettbewerbsposition verbessert sich nicht, wenn Unternehmen die Preise weiter erhöhen. Dann wandert das gemeinsam Erwirtschaftete einfach nur in die großen Taschen der Unternehmer statt in die kleinen der Beschäftigten.
Bei den Mietpreisen macht die Regierung zwar langsam Fortschritte. Aber bei Energie und Lebensmitteln gibt es keine Preiseingriffe. Dabei setzt die Energiebranche mit ihren Übergewinnen der Industrie zu, viel mehr als Lohnkosten.
Die durchaus kapitalistische Schweiz ist nicht so zimperlich, hinsichtlich Preiseingriffen. Der Schweizer Staat setzt fast jeden dritten Preis im Land, Österreich nur jeden zehnten. Auch bei Gas, Fernwärme und Strom. Fließt bei uns das Wasser durch die Donaukraftwerke, sprudeln die Gewinne der heimische Stromkonzerne. Nicht in der Schweiz: Günstig produzierter Strom muss per Preisgesetz an die Schweizer Haushalte und Betriebe weitergereicht werden.
Um die Teuerung im Supermarkt großflächig zu bremsen, muss der Staat die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel senken. Ein Prozentpunkt Inflation weniger bringt das. Die Gegenfinanzierung ist einfach: Nimmt die Regierung in den nächsten drei Jahren die unsägliche Steuersenkung unter türkis-grün für Gewinne der Konzerne zurück, spült das viel Geld in die Kasse. Andere Länder setzen für niedrigere Preise auf Fixpreise für ausgewählte Grundnahrungsmittel (Kroatien) und limitieren Gewinnmargen der Lebensmittelkonzerne, die an Wucher grenzen (Rumänien, Griechenland). Setzt Österreich alles um, ließe sich der 100-Euro-Einkauf im Supermarkt auf 85 Euro drücken. Die Rezepte sind da, aber kochen muss die Regierung selbst.
Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar im Standard.