Arbeitslosigkeit

"Sparen im System" verschärft die Krise

"Sparen im System" verschärft die Krise

An der Gesundheitsfront läuft es derzeit alles andere als rund. Die Wartezeit auf Corona-Tests ist lang, es sei denn, man blättert in privaten Laboren 120 Euro aufwärts hin. Die Bundesgesundheitsagentur Ages und die Länderbehörden kommen mit der Arbeit kaum nach, das Gesundheitsministerium ist schwach aufgestellt. Acht Rechtspraktikanten erstellen dort gemeinsam mit gerade einmal acht Berufsjuristen uneindeutig formulierte, teils verfassungswidrige Covid-Gesetze und Verordnungen. Das Justizministerium kann nicht aushelfen, weil im Personalplan die nötigen Stellen nicht finanziert sind. Wer ist schuld? Die Journalistin Anneliese Rohrer diagnostiziert ein beispielloses Versagen der Verwaltung. Oppositionsparteien wiederum sehen die zuständigen Minister oder Stadträte in der Verantwortung. Beide haben Unrecht.
 
Das Problem liegt viel tiefer. Seit 30 Jahren reden uns Unternehmerverbände, wirtschaftsliberale Denkfabriken und konservativ-liberale Parteien ein, dass nur ein eingesparter Verwaltungsbeamter ein guter sei. Die Devise „Sparen im System“ wurde zum Fetisch erhoben. Das Ergebnis: Die öffentliche Verwaltung ist zunehmend handlungsunfähig. Als Konsequenz davon appelliert die Regierung lieber an die Eigenverantwortung der Bürger – keine sonderlich erfolgversprechende Strategie. Ein neuerlicher Lockdown wird auch dadurch leider wahrscheinlicher.
 
Eine Personalfrage
 
Szenenwechsel an die Wirtschaftsfront: Die Krisenbekämpfung scheitert auch hier an fehlenden personellen Ressourcen. Zunächst dauerten Anträge beim AMS für die Kurzarbeit viel zu lange, dann versagten Design und Abwicklung bei zwei Hilfsfonds für kleine Selbstständige und Familien. Seltsame Konstrukte wie gesonderte Härtefallfonds wurden deswegen notwendig, weil „personaleffizient“ optimierte Staatsangestellte nicht mehr in der Lage waren, Zusatzaufgaben zu übernehmen. Auffällig jedoch: Noch gut funktionierende, eingespielte staatliche Institutionen hatten trotz massiver Mehrbelastung kaum Probleme. Die Finanzämter erledigten die Steuerstundungen innerhalb weniger Wochen. Das AWS, die wenig bekannte Wirtschaftsförderungsagentur des Bundes, wickelt eine Antragsflut bei Überbrückungsgarantien, Fixkostenzuschuss und Investitionsprämie routiniert und ohne großes Aufsehen ab.
Nicht ganz so rund lief die Kurzarbeit beim Arbeitsmarktservice ab, weil die Bundesregierung dort in der Vergangenheit den Sparstift angesetzt hatte. Wo die „Effizienzsteigerungen“ zu weit getrieben worden waren, dort fehlt es heute in der Krise mangels Personalreserven an Handlungsfähigkeit. Ausgerechnet das von ihnen selbst herbeigeführte Funktionsversagen dient den marktradikalen Ideologen jetzt als Beweis dafür, dass es der Staat „eben nicht kann“.
 
Falsche Dogmen
 
Damit die öffentliche Hand allerdings in der Pandemie ihre Krisenaufgaben erfüllen kann, braucht sie gut ausgebildetes Personal. Für eine effektive Covid-Bekämpfung mit gut funktionierendem Contact-Tracing müssen Bund und Bundesländer entschlossen Abteilungen mit hunderten neuen Beschäftigten aus dem Boden stampfen. Das verlangt eine positive Sicht auf öffentliche Beschäftigung: Ein Staat, der als Krisenmanager, Arbeitgeber und Taktgeber Gutes bewirken kann.
 
Die Chance auf den nötigen Kurswechsel bietet das Budget für 2021, das der Finanzminister gestern vorgelegt hat und das in den kommenden Wochen im Parlament verhandelt wird. Mit einer Trendumkehr bei der verfehlten Personalpolitik können die Versäumnisse der Vergangenheit zumindest teilweise korrigiert werden. Im Zuge der Krisenbekämpfung musste die Regierung bereits das Dogma „Nulldefizit“ aufgeben und durch „Koste es was es wolle“ ersetzen, um permanenten Schaden von Unternehmern und Arbeitnehmern abzuwenden. Notwendig ist aber auch die Abkehr von einem zweiten Dogma: Der Glaube an „Mehr privat, weniger Staat“ hat in der Vergangenheit immensen Schaden bei staatlichen Leistungen angerichtet.
 
Beispiel Pflege

 
Exemplarisch dafür steht die Pflege. Bis Ende des Jahrzehnts fehlen dort 76.000 Vollzeitstellen. Aktuell wird der fehlende Ausbau staatlich finanzierter Pflegeeinrichtungen entweder durch Angehörige oder durch 24-Stunden-Betreuerinnen, die zu einem Hungerlohn arbeiten, kompensiert. Dieses System wäre uns durch die Grenzschließungen fast kollabiert.
 
Im Windschatten von Ronald Reagan und Margaret Thatcher hat das Pendel in den vergangenen 40 Jahren viel zu stark in Richtung Verteufelung des Staates ausgeschlagen. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie essenziell sein Funktionieren für Wirtschaft und Gesellschaft ist. Höchste Zeit für einen Richtungswechsel in der staatlichen Personalpolitik, bevor viele private Unternehmen durch einen neuerlichen Lockdown endgültig kollabieren.

Zweite Welle für Arbeitslose

Zweit Welle von Arbeitslosen

Wer in einer Familie aufgewachsen ist, die mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatte, weiß aus eigener Erfahrung um die desaströsen Auswirkungen für Betroffene und Angehörige: Keinen Job zu haben, geht nicht nur mit Geldsorgen einher, sondern stellt Grundsätzliches in Frage. Arbeit bedeutet Identität und gesellschaftliche Inklusion.

Auch wenn die Arbeitslosigkeit von ihrem Allzeithoch im Mai leicht gesunken ist, sind nach wie vor fast 410.000 Menschen ohne Job oder in Schulung. Dazu kommen knapp 400.000 Personen in Kurzarbeit. Fast eine Million Menschen – knapp ein Viertel der österreichischen Erwerbsbevölkerung – ist aktuell also gar nicht oder nur zum Teil im Job.
 
Wer bereits seit über einem Jahr keinen Job findet, also zu den Langzeitarbeitslosen zählt, hat in dieser Situation überhaupt keine Chance auf bezahlte Beschäftigung. Viele von ihnen sind gering qualifiziert, haben gesundheitliche Probleme und sind häufig auch schon über 50. Das sehen Arbeitgeber nicht so gern. Bereits die Finanzkrise 2008/2009 bescherte uns einen Sockel von ca. 150.000 Langzeitarbeitslosen. Mit dem Corona-Schock dürfte er neue Höhen erklimmen. Nicht nur menschlich, sondern auch ökonomisch ist das ein Problem. Die Finanzierung von Arbeitslosigkeit erfordert beträchtliche Summen, die produktiver in Bereiche wie Pflege oder Bildung investiert werden sollten. Mehr Arbeitslose mit ihren geringeren Einkommen bedeuten außerdem weniger Nachfrage und schwächen damit die Konjunktur.
 
Was also tun? Nur der Privatsektor – vulgo „die Wirtschaft“ – wird es nicht richten können. Auf eine offene Stelle kommen derzeit sechs Arbeitssuchende. Wenn die Unternehmen massiv Jobs abbauen, muss der Staat einspringen und antizyklisch Beschäftigungsprogramme lancieren - gerade für Langzeitarbeitslose. Leider findet sich dazu im 50-Milliarden-Corona-Paket der Bundesregierung nichts, trotz der großspurigen Ankündigung „koste es, was es wolle“. Dabei wären die Kosten überschaubar. 
 
Würden die Mittel, die bisher für die Finanzierung von Langzeitarbeitslosigkeit ausgegeben werden, um eine einzige Milliarde Euro aufgestockt, könnten damit 100.000 produktive Jobs im öffentlichen Bereich entstehen. Mit diesen zusätzlichen Ausgaben - einem Dreitausendstel der jährlichen Wirtschaftsleistung - ließe sich ein enormer volkswirtschaftlicher Effekt erzielen: Jeder zusätzlich ausgegebene Euro könnte bis zu 67 Cent an zusätzlicher Wertschöpfung generieren. Eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose hätte zudem eine Reihe weiterer Vorzüge.
 
Erstens bekämen Menschen, die länger keinen Job mehr hatten, wieder eine sinnstiftende Tätigkeit, die ihr Potenzial nützt und ihnen ihre Würde zurückgibt. Mittelfristig stiegen dadurch auch ihre Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt. Zweitens ließen sich gezielt jene öffentlichen Dienstleistungen forcieren, die wir in Zukunft dringend brauchen. Vor allem in der Pflege besteht ein riesiger Bedarf, aber auch in der Justiz oder in Schulen. Langzeitarbeitslose mit Zusatzausbildung könnten auch als „Klima-BeraterInnen“ Haushalten und Firmen beim Energiesparen helfen.
 
Bei kluger Ausgestaltung würde eine derartige Jobgarantie also auch dem Klima nützen und den nötigen Strukturwandel hin zu einer emissionsfreien Ökonomie befördern. Ein grünes Beschäftigungsprogramm hätte unter allen denkbaren Varianten den geringsten CO2-Fußabdruck. Warum es die Bundesregierung nicht längst gestartet hat, entbehrt jeder wirtschaftlichen Vernunft. Ein Heer an Perspektivlosen können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Zu hoch wäre der Preis – menschlich wie ökonomisch.

Dieser Beitrag erschien am 16.09.2020 als Gastkommentar in der Presse.

Die Hälfte der Corona-Arbeitslosen erhalten keine Einmalzahlung

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Auf Basis von AMS-Daten hat das Momentum Institut berechnet: Von allen geschätzt 740.000 Arbeitslosen und SchulungsteilnehmerInnen, die zwischen April und August Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen, erhalten nur rund 370.000 Personen die Einmalzahlung in Höhe von EUR 450. Diese Zahlung bekommen somit fünf von zehn Betroffenen nicht, weil sie entweder unter 60 Tage lang arbeitslos waren oder ihre Arbeitslosigkeit nicht ausreichend im Berechnungszeitraum zwischen Mai und August lag. „Die konkrete gesetzliche Regelung ist fragwürdig, weil sie 60 Tage Arbeitslosigkeit zwischen Mai und August verlangt. Viele der typischen Corona-Arbeitslosen waren zwischen Mitte März und Mitte Juni arbeitslos, erhalten aber keine Zahlung“, sagt dazu Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts. 

Von der Zahlung ausgeschlossen bleiben drei Gruppen: Jene, die von den Lockdown-Maßnahmen als erstes getroffen wurden und von März bis Juni arbeitslos waren. Jene, die weniger als zwei Monate zwischen Mai und August ohne Job dastanden. Und jene, die beispielsweise nach einer mehrmonatigen Kurzarbeit erst im Juli oder August arbeitslos wurden und deshalb die notwendigen 60 Tage im Sommer nicht sammeln konnten, obwohl ihre Arbeitslosigkeit und finanziellen Probleme noch länger dauern könnten. Insgesamt erhalten fast die Hälfte all jener nichts, die aufgrund der Corona-Krise arbeitslos wurden.  

Selbst wenn man Kurzzeit-Arbeitslose abzieht, die sich weniger als ein Monat in Arbeitslosigkeit befunden haben, bleiben noch immer vier von zehn Arbeitslosen übrig, die keine Zahlung erhalten – wie der Grafik hervorgeht. 

Eine Empfehlung des Momentum Instituts ist die Ausweitung der Einmalzahlung auf alle Arbeitslosen und insbesondere alle Corona-Arbeitslosen. Essenziell wäre, dass der Zeitraum zur Berechtigung der Zahlung ab Mitte März beginnt und nicht im August ausläuft. Denn die Corona-Arbeitslosigkeit ist nicht vorbei. Mit Ende August 2020 gibt es noch immer 92.000 Arbeitslose mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. 

Österreich ist alles andere als großzügig beim Arbeitslosengeld

Degressives Arbeitslosengeld?

Unter dem Schlagwort „Degressives Arbeitslosengeld“ will eine wirtschaftsliberale Allianz aus ÖVP, NEOS, Industriellenvereinigung, und Agenda Austra die Leistungen für länger Arbeitslose senken. Sie argumentieren das mit zu hohen Leistungen für Österreichs Langzeitarbeitslose im internationalen Vergleich. Eine Grafik der OECD zum Arbeitslosengeld, die aktuell in mehreren österreichischen Tageszeitungen herumgeistert, wird als Beweis geführt. Sie bescheinigt Österreich zwar ein im internationalen Vergleich äußerst niedriges Arbeitslosengeld zu Beginn. Aber bei mehrjähriger Dauer der Arbeitslosigkeit senke Österreich seine Leistungen vergleichsweise weniger ab als andere Länder. Dieses System solle Österreich auch einführen, damit die „inaktiven Arbeitslosen“ endlich die notwendigen Arbeitsanreize bekommen – wie international üblich. Doch die Darstellung ist irreführend.

Die Großzügigkeit Österreichs löst sich in Luft auf, sobald man die Zahlen genauer betrachtet. Das zeigt beispielsweise unser Nachbarland Deutschland. Dort müssen Arbeitslose nach einiger Zeit vermeintlich mit nur einem Fünftel ihres letzten Nettogehalts auskommen. Das ginge sich zum Leben hinten und vorne nie aus: Essen könnte man damit noch, aber eine Mietwohnung wäre nicht mehr leistbar. Der deutsche Niedriglohnsektor ist ein Negativbeispiel und Hartz IV das Gegenteil von Zuckerschlecken. Aber auch Deutschland lässt seine Arbeitslosen nicht komplett zugrunde gehen. Zwar stimmt es: Das reine Arbeitslosengeld II liegt nur bei 22% des Letztgehalts nach 5 Jahren Arbeitslosigkeit. Inkludiert man aber die Kosten der Unterkunft und Heizung (ein normaler Teil von Hartz IV) liegt der Einkommensersatz nach 5 Jahren netto bei 47% - mehr als doppelt so hoch.

Damit kommen wir schon zum Grundproblem. Der getroffene internationale Vergleich enthält keine anderen Auffangnetze für längere Zeit arbeitslose Personen (Sozialhilfe/Mindestsicherung/Wohnbeihilfen). In Österreich bleiben die meisten Langzeitarbeitslosen mit der Notstandshilfe im Arbeitslosenversicherungssystem selbst. In vielen Staaten fallen sie stattdessen in die Sozialhilfe. Nur das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe darzustellen führt daher zu einer viel zu positiven Einschätzung der „Großzügigkeit“ Österreichs. Tatsächlich schenkt das Land seinen Arbeitslosen fast nichts, indem es gleich einmal auf 55-60% des letzten Nettoeinkommens kürzt. Und in Wahrheit unterstützen natürlich auch andere Staaten ihre Arbeitslosen über ihr Sozialsystem mit dem notwendigen Existenzminimum.

Die zweite Kuriosität dieser regelmäßigen internationalen Vergleiche: Seit wann vergleicht sich ein wohlhabender, ausgebauter Sozialstaat wie Österreich mit Polen, Tschechien, oder Kroatien, die nicht einmal annähernd unser Niveau an sozialer Sicherheit oder Wirtschaftsleistung erreicht haben? Gleiches gilt für Südeuropa. Nord- und Westeuropa ist die relevante Vergleichsgruppe, weil das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ähnlich hoch ist und ein ausgebauter Sozialstaat vorliegt.

Ein besserer Vergleich einer arbeitslosen Person enthält daher andere Sozialleistungen und Wohnkosten-Zuschüsse sowie eine relevante Gruppe an ähnlichen Ländern (siehe Abbildung), welche die OECD ebenfalls bereitstellt. Insgesamt bekommen Arbeitslose in Österreich mit 55-60% des letzten Einkommens sehr wenig - vor allem bei kurzer Dauer der Arbeitslosigkeit. Nur Irland zahlt in Nord- und Westeuropa weniger, aber die haben ihr Arbeitslosengeld in der Pandemie außertourlich aufgestockt. Fast alle zahlen wesentlich mehr an kürzer arbeitslose Menschen. Belgien, das gerne als Vorbild für ein abfallendes Arbeitslosengeld gilt, sogar an die 90%. Hier bleibt Österreich absurd knausrig für einen ausgebauten Sozialstaat.

Anders ist vor allem, dass uns einige Länder auch bei den Langzeitarbeitslosen überholen: Die Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland und Luxemburg lassen Langzeitarbeitslosen einen (teils viel) höheren Anteil an ihrem Letztgehalt als Österreich. Schweden zahlt gleich viel wie Österreich, Schweiz, Belgien und Irland geringfügig weniger. Nur Deutschland und Frankreich zahlen wirklich weniger. Aber die Spitzenposition in der Großzügigkeit zu Langzeitarbeitslosen ist gänzlich verschwunden und einer durchschnittlichen Position im Mittelfeld gewichen.

Dass das Arbeitslosengeld in Österreich nicht besonders hoch ist, zeigen auch die ausgezahlten Beträge. Die Hälfte der Menschen in Notstandshilfe bekommt weniger als EUR 871,44 netto im Monat – zwölf Mal im Jahr, nicht 14 Mal.

Winston Churchill ist angeblich der Urheber des Sprichworts: „Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“. Ganz so schlimm ist es nicht mit der Statistik, meist ist es viel banaler. Man muss sehr auf Details achten, um auch wirklich darzustellen, worum es geht. Gerade in der Debatte um das absinkende Arbeitslosengeld trifft das umso mehr zu. Es gilt, die richtigen Fakten auf den Tisch zu legen, bevor die Politik über eine Reform des Arbeitslosengeldes berät.

Ländervergleich: Die österreichische Arbeitslosenunterstützung ist nicht zu hoch

Ausschnitt eines Globus, der Europa zeigt

Befeuert durch Darstellungen wirtschaftsliberaler Think-Tanks und Interessensvertretungen ist in Österreich der Mythos entstanden, dass die österreichische Arbeitslosenunterstützung im internationalen Vergleich am Beginn der Arbeitslosigkeit niedrig, bei längerer Arbeitslosigkeit jedoch hoch sei. Bei genauer Durchsicht der gleichen verwendeten OECD-Daten stellt sich jedoch heraus: Das ist nicht haltbar!

Der relevante Vergleich mit anderen ausgebauten Sozialstaaten kommt zu einem anderen Ergebnis: Österreich zahlt am Beginn der Arbeitslosigkeit wenig, und liegt bei längerer Dauer der Arbeitslosigkeit im Mittelfeld. Insgesamt ist die Unterstützung für österreichische Arbeitslose im Vergleich mit Nord- und Westeuropa unterdurchschnittlich. Das ist in den Abbildungen 1 und 2 ersichtlich.

Abbildung 1: Single, Letztgehalt: 67% des Durchschnittsgehalts, keine Kinder

Abbildung 2: Single, Letztgehalt: 67% des Durchschnittsgehalts, 2 Kinder

Wie kommt es, dass andere behaupten, die österreichische Unterstützung für Langzeitarbeitslose ist im internationalen Vergleich hoch? Die Auswahl der Daten ist verzerrend. Zwei Punkte stechen dabei besonders hervor:

1. Wer wird verglichen?

Darstellungen wirtschaftsliberaler Institute nehmen oft die gesamte europäische Union. Natürlich ist die soziale Absicherung, inklusive Arbeitslosenunterstützung, in entwickelten und ausgebauten Wohlfahrtsstaaten aus Nord- und Westeuropa eine ganz andere (höhere) als jene in Ländern mit unterentwickelten, in manchen Bereichen gar nicht vorhandenen, Sozialstaaten. Wissenschaftliche Ländervergleiche von Sozialstaatsmodellen unterscheiden deshalb ganz deutlich zwischen diesen Ländergruppen: Der typische Sozialstaat in Südeuropa (Spanien, Italien, Portugal, Griechenland) und der (oft überhaupt nur teilweise vorhandene) in Osteuropa (Polen, Ungarn, usw.) ist mit den oft gut ausgebauten Systemen in Nord- und Westeuropa nicht vergleichbar. In Grafiken mit „selektiver Auswahl“ findet sich deshalb immer wieder der unzulässige Vergleich von Österreich mit beispielsweise Polen, Italien, oder Spanien. In Anlehnung an einen geflügelten Satz aus Corona-Zeiten: Selbstverständlich kann man so eine Grafik machen. Doch nicht alles was nicht ausdrücklich verboten ist, ist auch vernünftig.
Generell gilt: Der Vergleich des österreichischen Arbeitslosenversicherungssystems sowie nachfolgender Sicherungssysteme (Notstandshilfe, Sozialhilfe) sollte mit nord- und westeuropäischen Ländern mit ähnlich ausgebautem Sozialstaat erfolgen.

2. Wie wird verglichen?

In manchen Grafiken ist zwar die verwendete Ländergruppe in Ordnung, allerdings ist der konkrete gewählte Vergleich untypisch. In Bezug auf die zumeist verwendeten OECD-Daten fällt folgendes auf: Der Vergleich erfolgt für einen Single ohne Kind mit 100% des Durchschnittslohns und ohne Wohnbeihilfe. Das ist aus zwei Gründen problematisch:

a) 100% des Durchschnittslohns?

Der typische Arbeitslose hat zuvor nicht den Durchschnittslohn verdient, sondern weitaus weniger. Deswegen ist der international typische Vergleich zumeist jener mit 67% des Durchschnittslohns, nicht aber jener mit 100% des Durchschnittslohns. Auch für Österreich trifft das zu: Arbeitslose, insbesondere Langzeitarbeitslose, haben im Schnitt einen weit niedrigeren Ausbildungsgrad und ein stark unterdurchschnittliches Letztgehalt im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.

b) ohne Wohnbeihilfe?

Der Vergleich ohne Wohnbeihilfe kann in bestimmten Fällen irreführend sein. Die spezifischen sozialen Sicherungssysteme anderer Länder verlassen sich in unterschiedlichem Ausmaß auf Wohn- bzw. Mietbeihilfen. Setzt ein Land stärker solche Leistungen ein, werden die übrigen Leistungen reduziert. Manche Länder setzen stark darauf (dementsprechend ist das Arbeitslosengeld niedriger), andere Länder wie Österreich fast gar nicht.

Welcher Vergleich ist also sinnvoll?

Das Fazit lautet: Der vernünftigste internationale Vergleich der konkreten OECD-Daten erfolgt daher zu 67% des Durchschnittslohn und mit Wohnbeihilfe, mit einer Gruppe aus nord- und westeuropäischen Ländern mit einem vergleichbar ausgebautem Wohlfahrtsstaat. Dann zahlt Österreich schlecht im internationalen Vergleich bei kurzer Arbeitslosigkeitsdauer, welche die meisten Arbeitslosen betrifft. Die vergleichsweise kleinere Gruppe der Langzeitarbeitslosen unterstützt Österreich ähnlich wie andere Länder – und nicht überdurchschnittlich, wie sich in der Debatte mittlerweile als Mythos festgesetzt hat. Insgesamt ist das österreichische System der Arbeitslosenversicherung daher knausrig zu jenen, die es in Notlagen brauchen und zuvor eingezahlt haben.

 

Unsere Analyse zum Download:

Corona-Hilfspakete: Was kann Österreich von anderen Ländern lernen?

Gestapelte Münzen

Österreich hat wie alle anderen europäischen Länder ein ambitioniertes Hilfspaket aufgelegt – das Motto ist „koste es, was es wolle“ wie der Bundeskanzler es formuliert hat. 38 Mrd. Euro sollen die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Shutdowns abfedern. Davon sind EUR 10 Mrd. für Stundungen, EUR 9 Mrd. für Kreditgarantien, EUR 15 Mrd. als Notfallhilfe für betroffene Branchen und EUR 4 Mrd. im Krisenbewältigungsfonds vorgesehen.

Das Kernproblem der Corona-Krise ist der Ausfall von Einkommen auf breiter Ebene: Betriebe, die nicht mehr produzieren bzw. verkaufen und ArbeitnehmerInnen, die nicht mehr arbeiten gehen dürfen. Alle diese Personen müssen aber weiterhin ihre Rechnungen bezahlen und ihren Lebensunterhalt finanzieren können – sonst gehen sie in kürzester Zeit pleite. Prinzipiell haben deshalb alle staatlichen Hilfspakete drei Ziele, die zur Stützung der Einkommen während der Krise führen sollen:

(1)    Schaffung von Liquidität
(2)    Sicherung von Beschäftigung
(3)    Abfederung von Härtefällen

Für das Erreichen dieser Ziele setzen die einzelnen Länder auf einen unterschiedlichen Mix aus direkten Transfers ("cash auf die Hand"), Stundungen und Liquiditätsmaßnahmen wie Kreditgarantien. Erstere wirken als direkter fiskalischer Impuls während die beiden letzteren Kreditmaßnahmen darstellen, die prinzipiell zurückgezahlt werden müssen. Die österreichische Notfallhilfe ist dabei ein besonderes Modell, da sie als Mix von Krediten und Zuschüssen konzipiert ist, wobei erst später abgerechnet wird. Jener Umsatzentfall, der auf die Krise zurückzuführen ist, soll dabei nach der Krise erlassen werden.

Wie schlägt sich Österreich also im internationalen Vergleich? Setzt die Regierung auf den richtigen Maßnahmen-Mix, um die drei genannten Ziele zu erreichen? Und wo können wir von anderen Ländern lernen?

Schnell Liquidität schaffen ist das Wichtigste

Die einfachste Maßnahme zur Schaffung von Liquidität ist die Stundung von Lohnsteuern und SV-Beiträgen. Wie die obige Grafik zeigt, greift quasi jedes Land zu dieser Maßnahme. Stundungen haben den großen Vorteil sehr effektiv zu sein, weil damit Betriebe schnell Geld auf ihren Konten unmittelbar verfügbar haben. Dieses können sie direkt einsetzen, um ihre Rechnungen und Löhne weiter zu bezahlen, bis andere Maßnahmen wie die Kurzarbeit greifen. Sie ist außerdem beliebt, da sie administrativ einfach umzusetzen ist. Die fälligen Beträge werden einfach nicht eingezogen, sondern aufgeschoben. Schlussendlich wirken Stundungen deshalb als zinslose Kredite, weil sie wieder zurückgezahlt werden müssen sobald der Aufschwung wiedereinsetzt. Als zweite Liquiditätsmaßnahme werden von allen Staaten Kreditgarantien eingesetzt. Hier vergibt der Staat Garantien für Überbrückungskredite über seine Entwicklungsbanken (Österreich: Austria Wirtschaftsservice, Deutschland: Kreditanstalt für Wiederaufbau), sodass der Bankensektor diese vergeben kann, ohne für das ganze Risiko haften zu müssen. Österreich kann hier aber noch nachbessern und sich ein Beispiel an der Schweiz nehmen, und die Garantiequote von derzeit 80 auf 100% erhöhen. Vor allem für kleinere Kredite für KMUs unter EUR 500.000 wäre dies sinnvoll, da damit die administrativ aufwendigen Risikoprüfungen durch die Banken wegfallen würden. Derzeit kommt es nämlich noch zu unnötigen Verzögerungen bei der Vergabe dieser Kredite. Wertvolle Zeit, die den Unterschied ausmachen kann, ob ein Betrieb die nötige Liquidität rechtzeitig bekommt.

Österreich zahlt Kurzarbeitern mehr als Arbeitslosen

Zur Sicherung der Beschäftigung setzen fast alle europäischen Staaten auf Kurzarbeitsmodelle. Betriebe sollen damit die Möglichkeit bekommen, Beschäftigte zu halten und nicht kündigen zu müssen. Österreich bezahlt hier eine hohe Nettoersatzrate von 80-90% ähnlich den nordischen Ländern.

Wie die jüngsten Rekordarbeitslosenzahlen gezeigt haben, greift dieses Modell aber bisher nur unzureichend. Gerade in den besonders betroffenen Branchen Gastronomie, Tourismus, Bau und Verkehr bekommen viele nur die im europäischen Vergleich niedrige Nettoersatzrate von 55%. Hier sollte Österreich sich Irland zum Vorbild nehmen, und das Arbeitslosengeld für alle durch die Krise arbeitslos gewordenen Menschen erhöhen. Die Inselrepublik erhöht nämlich das Arbeitslosengeld von bisher EUR 872 auf EUR 1.500 für die Dauer der Krise. Die irische Nettoersatzrate steigt in der Folge von bisher niedrigen 36,6% auf über 62% und überholt damit Österreich. Nur mehr wenige europäische Länder zahlen Arbeitslosen somit weniger als Österreich.

Mehr Geld für Härtefälle notwendig

Das dritte Ziel umfasst die Hilfe für alle Menschen, die nicht über die anderen Maßnahmen erreicht werden können, wie kleine Selbstständige und freie DienstnehmerInnen. Dafür sind die Fonds für Härtefälle vorgesehen – oder Solidaritätsfonds wie Frankreich diese passender nennt. Österreich hat die Dotierung seines Fonds gerade auf EUR 2 Mrd. angehoben, ein klares Zeichen, dass die Summen hier zu niedrig angesetzt sind. Es gibt zahlreiche Berichte von Selbstständigen und Menschen mit geringfügigen Nebeneinkünften, die nicht die formalen Voraussetzungen für den Härtefallfonds erfüllen. Österreich könnte hier Abhilfe schaffen und sich ein Beispiel an Belgien nehmen, das ein „bridging right“ etabliert hat und allen Selbstständigen ein pauschales Mindesteinkommen von EUR 1.292 (EUR 1.614 mit Familie) für die Dauer der Krise garantiert - ohne Wenn und Aber.

Was machen andere Länder also besser?

Zusammengefasst heißt das: Österreich macht einiges richtig, es geht aber noch deutlich besser. Viele Länder entwickeln gerade gute Ideen, an denen wir uns orientieren können. Neben den schon genannten, ein paar weitere Beispiele:

  1. Irland führt eigenes Corona-Arbeitslosengeld ein für alle, die ihren Job im Zuge der Krise verloren haben und erhöht dieses von EUR 203 pro Woche (monatlich ca. EUR 872) auf EUR 350 (monatlich ca. EUR 1.500).
  2. Belgien garantiert Selbstständigen ein „bridging right“ – ein Recht auf ein Mindesteinkommen von EUR 1.291 (EUR 1.614 mit einem Kind) wenn sie im Zuge der Krise nicht arbeiten können.
  3. Dänemark, Niederlande (beide Bruttobasis) und Irland (Nettobasis) zahlen beim Kurzarbeitergeld eine Ersatzrate von 100%.
  4. In Finnland gibt es einen interessanten Ansatz zur Unterstützung von Selbstständigen mit niedrigen Einkommen: diese bekommen eine automatische Lohnsubvention – bei Einkommen knapp unter 1.100 Euro  - und sie müssen dafür nicht mal ihr Gewerbe ruhend stellen. 
  5. Frankreich setzt die Betriebskostenzahlungen inkl. Miete für KMUs und EPUs aus.
  6. Kanada erhöht die Familienbeihilfe sozial gestaffelt.
  7. Dänemark kompensiert Selbstständigen und freie DienstnehmerInnen 75% ihres Einkommens (max. EUR 3.000 pro Monat).
  8. Spanien hat für die Mieten ein Mikrokredit-Modell entwickelt mit 0% Kreditzinsen und eine Laufzeit von 6 Jahren  – verlängerbar auf bis zu 10 Jahre.
  9. Nocheinmal Belgien: wo Home-Office Stunden behandelt und bezahlt werden, als ob sie im Land des Arbeitgebers erbracht worden wären.
  10. Slowenien erhöht Gehalt für Gesundheitspersonal um bis zu 200% (leistungsabhängige Staffelung und nicht pauschal). 

Hinweis, 9.4.2020: die Liste der Maßnahmen in anderen Ländern wurde überarbeitet und aktualisiert.

Arbeitslosigkeit: Österreich zahlt unterdurchschnittlich

Antrag

Das österreichische Corona-Kurzarbeitsmodell wird zurecht gelobt für seine hohe Nettoersatzrate von mindestens 80% und bis zu 90% des bisherigen Einkommens. Die "Nettoersatzrate" misst die Höhe des Arbeitslosengeldes als Teil des vorherigen Nettoeinkommens. Sie ist in Österreich im internationalen Vergleich mit 55% dagegen besonders niedrig.

Wie die heute veröffentlichten Arbeitslosenzahlen zeigen, greift die Kurzarbeit bisher nur unzureichend. Die Krise führte zu mehr als 186.728 neuen Arbeitslosen, insgesamt ist die Arbeitslosigkeit mit 562.522 Menschen ohne Job auf einem Rekordhoch. Durch die Diskrepanz in den Nettoersatzraten werden die schlechter verdienenden Arbeitslosen in Gastronomie, Tourismus und Bau schlechter gestellt als ihre KollegInnen in der Kurzarbeit. Eine Anhebung auf 70% würde soziale Härten abmildern und auch den privaten Konsum stützen. In Island liegt die Nettoersatzrate für Arbeitslose in der Höhe der Kurzarbeit.

Corona-Rekord: 800.000 Jobs bedroht

Tastatur, die statt dem "Enter"-Zeichen "Find Job" anzeigt.

800.000 Arbeitsplätze gefährdet

Der Rekordzuwachs an Arbeitslosen – über 130.000 alleine in den Tagen von 16.3. bis 23.3. – wird in den nächsten Tagen anhalten. Schätzungsweise bis zu 800.000 Arbeitsplätze sind in Österreich durch einen länger andauernden Corona-Schock gefährdet. „Der Effekt des Corona-Virus auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt ist extrem“, analysiert Chefökonom Oliver Picek. Die Arbeitslosigkeit steige aktuell wesentlich schneller als in der Finanzkrise 2008.

Prognosen sind zum aktuellen Zeitpunkt schwierig und mit sehr großer Unsicherheit behaftet, weil die Dauer der Einschränkungen unklar bleibt. Allerdings lässt sich die Betroffenheit der unterschiedlichen Branchen bewerten und so anschließend mögliche Arbeitsplatzverluste abschätzen. Lässt man den öffentlichen Sektor und systemrelevante Sektoren wie die Gesundheit außen vor, würde eine Reduktion der Beschäftigung um 10% zu rund 250.000 Arbeitslosen führen. Im Branchenvergleich sind vor allem Tourismus/Gastronomie, der Bau, Handel und die Industrie stärker betroffen, während andere Branchen wiederum unterdurchschnittlich betroffen sind. Viele Unternehmen in Tourismus und Gastronomie haben ihre Mitarbeiter bereits vor der Kurzarbeitseinigung gekündigt. „Nach dem akuten Schock durch die Schließungen von Lokalen und Geschäften kommt eine nächste Welle durch die Pause in der Industrieproduktion“, warnt das Momentum Institut.

Beschäftigte der Gastronomie und des Handels sind besonders gefährdet, ihren Arbeitsplatz wegen der Corona-Krise zu verlieren. Zusätzlich sind auch sie jene, deren Durchschnittsgehalt am geringsten ist (mit Ausnahme der sonst. wirtschaftlichen Berufe, die Leiharbeiter enthält).

Zahl der Arbeitslosen war noch nie so hoch wie jetzt

Klar ist, schon jetzt gibt es mehr als 500.000 arbeitslose Personen – in der Geschichte der zweiten Republik war das noch nie der Fall.

Quelle: AMS, Grafik: Momentum Institut

Der Vergleich der Durchschnittswerte des Bestandes der Arbeitslosen in den Jahren seit 1946 zeichnet zwar im Vergleich ein gemäßigteres Bild. Dabei darf nur nicht vergessen werden, dass wir erst am Beginn der Corona-Krise und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen stehen und trotzdem schon die höchste je verzeichnete Arbeitslosigkeit aufweisen.

Bei einem Vergleich der Monate mit dem höchsten Bestand an Arbeitslosen und SchulungsteilnehmerInnen liegt der diesjährige März schon vor Monatsende um knapp 20.000 Personen über dem bisherigen Spitzenreiter (Jänner 2017) und ein Ende ist wie oben bereits erwähnt noch nicht in Sicht.

Rekordzuwachs an Arbeitslosen stellt Finanzkrise in den Schatten

Nicht einmal während der Finanzkrise in 2009 war der absolute Anstieg (rund 60.000) der Arbeitslosigkeit so stark wie jetzt (>100.000). 

Der Zuwachs zur Arbeitslosigkeit je Monat zurück bis Jänner 2009 zeigt noch einmal unmissverständlich auf, dass die Veränderung nicht einmal während der Finanzkrise so stark war. Im noch nicht vollendeten März dieses Jahres ist der Zuwachs an Arbeitslosen schon beinahe doppelt so hoch wie in den schlimmsten Monaten der Finanzkrise.

Da wir erst am Beginn der Corona-Krise stehen, kann davon ausgegangen werden, dass sich diese Situation noch weiterhin verschärft. Bereits jetzt ist absehbar, dass die Rekord-Arbeitslosigkeit noch weiter ansteigen wird und zur Bestandsprüfung für unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wird. Daher gilt es gerade jetzt, langfristig und nachhaltig zu handeln um Härtefälle zu vermeiden und Einkommen zu stabilisieren. 

Jetzt gilt es, niemanden zurück zu lassen

Ob ArbeitgeberInnen Kurzarbeit anmelden oder zu Kündigungen greifen, lässt sich von einzelnen ArbeitnehmerInnen nicht beeinflussen. Dass sich damit ihr Lebensunterhalt drastisch verringert auch nicht. Das Momentum Institut empfiehlt daher ein „Corona-Ausgleichsgeld“: Höheres Arbeitslosengeld (Ersatzrate von 55% auf 70% erhöhen, mindestens 1.110 Euro) sowie Lockerungen bei der Mindestsicherung.

Mehr Informationen zum Corona-Ausgleichsgeld:

Soziale Folgen gerecht verteilen: Corona-Ausgleichsgeld bei Kündigung

Leere U-Bahnreihen

Die Kurzarbeit schützt nicht alle vor Arbeitslosigkeit

Zwar haben Bundesregierung und Sozialpartner mit ihrer Anpassung der Kurzarbeit für die Krise ein sehr großzügiges Modell vorgelegt, dennoch gibt es viele Menschen, die bereits in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden oder in nächster Zeit damit rechnen müssen. Schon jetzt verzeichnet das AMS Tagesrekorde bei der Anmeldung Arbeitsloser, für die es während den nächsten Monate kaum Chancen auf einen neuen Job geben wird. Bis 19. März gibt es rund 74.000 neue Arbeitslosenmeldungen beim AMS.

Krisen im Vergleich: Arbeitslosigkeit steigt in der Corona-Krise viel schneller

Die folgende Abbildung zeigt den Anstieg der Arbeitslosenzahl in der Corona-Krise und in der Finanzkrise (rosa Linie). Die Corona-Krise wirkt als plötzlicher Stopp der Wirtschaftsaktivität viel rasanter auf den Arbeitsmarkt. 

Nicht alle ArbeitnehmerInnen werden während der Krise ihren Arbeitsplatz durch Kurzarbeit behalten. Aus Gesundheitsgründen „zugesperrte“ Betriebe stellen keine ArbeitnehmerInnen ein. Somit fällt die Zahl der offenen Stellen massiv und Arbeitsaufnahmen finden kaum statt. Die Folge davon, dass die Kurzarbeit nicht alle Arbeitsplätze erhält und Neueinstellungen ausfallen, ist Rekordarbeitslosigkeit.

Niemanden zurücklassen: Momentum Institut empfiehlt Corona-Ausgleichsgeld

Das von Momentum Institut empfohlene „Corona-Ausgleichsgeld“ von mindestens EUR 1.000 netto pro Person bedeutet ein höheres Mindesteinkommen für alle (auch neuen) Arbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung und Mindestsicherung, um die Zeit der Erwerbslosigkeit in der Corona-Krise finanziell zu überstehen.

Der vollständige Policy Brief zu unserer Handlungsempfehlung:

Langzeitarbeitslosigkeit: Studie zeigt Wirksamkeit von Beschäftigungsprogrammen

Beschäftigungsprogramme

Staatliche Beschäftigungsprogramme können sehr wirksam sein. Das zeigen AMS-Evaluierungsergebnisse der Aktion 20.000, die dem Momentum Institut vorliegen.

Während unter den AktionsteilnehmerInnen nach drei Monaten rund 35% Prozent in Beschäftigung waren, sind es in ähnlichen Gruppen ohne Maßnahme nur zwischen 4 und 15%. „Das Beschäftigungsprogramm aus der Kern-Mitterlehner-Regierung war durchaus umstritten. Ältere Langzeitarbeitslose gehören zu den Gruppen mit den geringsten Chancen am Arbeitsmarkt. Dass nach Abschluss des Programms 35 Prozent in Beschäftigung sind, belegt den Erfolg der Maßnahme“, sagt Oliver Picek, Senior Economist des Instituts. 


Langzeitarbeitslosigkeit ist auch eine große psychische Belastung. Eine eindeutige Wirkung des Beschäftigungsprogramms ist die Zunahme der Lebenszufriedenheit, wie eine Umfrage unter Teilnehmern eines größeren Trägers zeigt. Waren vor der Aktion nur 34% mit ihrem Leben zufrieden, waren es während der Aktion 81%. Ihre Lebenszufriedenheit als „Nicht genügend“ stuften zuvor 10% ein, während der Aktion waren es 0%.


Aus Sicht des „Thinktank der Vielen“ sollte daher auch eine neue Regierung über staatliche Beschäftigungsprogramme nachdenken. Das Niveau der Langzeitarbeitslosigkeit ist immer noch alarmierend hoch. „Hier müsste man dringend gegensteuern“, so Picek.

Das Momentum Institut hat dazu einen Policy Brief erstellt: