Arbeitslosigkeit

Langzeitarbeitslosigkeit: Neuer Rekord verdeutlicht Handlungsbedarf

Neuer Rekord bei Langzeitarbeitslosigkeit
  • Fast 190.000 Langzeitarbeitslose Ende März 2021
  • Sprunghafter Anstieg bei 25- bis 44-Jährigen
  • Öffentliche Beschäftigungsprogramme für Langzeitarbeitslose notwendig

 

Das Corona-Virus und das schwache Pandemie-Management in Österreich sorgen für einen neuen Rekord bei der Langzeitarbeitslosigkeit. Noch nie waren in Österreich so viele Menschen länger als ein Jahr auf Jobsuche als Ende März 2021. Das zeigt ein aktueller Policy Brief des Momentum Instituts. Inklusive SchulungsteilnehmerInnen (alle außer FachkräftestipendiatInnen) betrug ihre Zahl zuletzt rund 188.000 Personen. „Das übertrifft den bisherigen Rekord von knapp 171.000 vom Jahresende 2020 markant, überrascht aber nicht, weil wir seit Beginn der Pandemie einen rasanten Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit beobachten“, analysiert Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts und ergänzt: „Weitere Negativrekorde sind absehbar, wenn die Politik nicht massiv gegensteuert.“

 

Das Momentum Institut setzt daher auf eine umfassende Berechnung unabhängig von der konkreten Status-Einstufung beim AMS. Diese inkludiert die große Gruppe der SchulungsteilnehmerInnen sowie alle anderen seit mehr als einem Jahr beim AMS als arbeitslos gemeldeten Personen (außer FachkräftestipendiatInnen).

Sprunghafter Anstieg bei 25- bis 44-Jährigen

Sozioökonomisch betrachtet ist der Großteil der Langzeitarbeitslosen männlich und verfügt über einen Pflichtschulabschluss. Über 55-Jährige bilden mit Abstand die größte Gruppe, unter 25-Jährige sind am zweitstärksten betroffen. Alarmierend ist allerdings, dass seit Corona die höchsten Zuwachsraten mit 31 % Menschen im Haupterwerbsalter zwischen 25 und 44 Jahren aufweisen.

Langzeitarbeitslosigkeit über fünf Jahre verfünffacht

Besonders besorgniserregend: Die Anzahl jener Menschen, die seit mehr als fünf Jahren keine Arbeit finden, hat sich seit 2012 auf über 24.000 Personen versechsfacht. Der zu kurze Wirtschaftsaufschwung 2016 bis 2019 reichte nicht aus, um diesen Trend umzukehren.

 

Wachsender Sockel

Seit 2008 hat sich die Langzeitarbeitslosigkeit verdreifacht und einen Sockel von rund 150.000 Betroffenen gebildet. Mit Unterbrechung der wirtschaftlich besseren Jahre 2017 bis 2019 wächst dieser stetig und schwankt auch saisonal kaum. Hauptgrund für die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit seit der Finanzkrise war die ökonomische Stagnation ab 2011. „Die Austeritätspolitik in Europa kombiniert mit Sparpaketen in Österreich schuf zu wenig neue Stellen, um das steigende Arbeitskräfteangebot zu absorbieren“, erklärt Picek.

Masterplan 2021 gegen Langzeitarbeitslosigkeit

Will Österreich die Fehler der Vergangenheit vermeiden und einen weiteren dauerhaften Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit verhindern, braucht es für ihn ab 2021 einen Masterplan gegen Langzeitarbeitslosigkeit: „Bis zur flächendeckenden Impfung gegen Corona kann ein höheres Arbeitslosengeld die finanziellen Nöte lindern. Ab dem zweiten Halbjahr 2021 muss die aktive Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit im Zentrum stehen. Eine solche müsste die Bundesregierung schon jetzt vorplanen.” Dazu gehört ein zweites, kräftiges Konjunkturpaket mit einem Ausbau der öffentlichen Beschäftigung, beispielsweise in der Pflege und der Bildung. Teil eines Masterplans sollte auch ein öffentliches Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose sein. “Das wäre eine besonders treffsichere Maßnahme, weil es direkt zusätzliche Arbeitsplätze speziell für Langzeitarbeitslose schaffen würde“, so Picek.

Oliver Picek

Der "Covid Misery Index" - Wie schlecht geht es Österreich im internationalen Vergleich?

Das Wort "Lockdown" aus Scrabblesteinen geformt

Über ein Jahr ist seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 vergangen. Das Momentum Institut zieht nun mit einem eigens berechneten "Covid Misery Index" Bilanz, wie stark Österreich im internationalen Vergleich sowohl gesundheitlich, als auch wirtschaftlich getroffen wurde.

 

Der ursprüngliche Elends-Index (Misery Index) des amerikanischen Ökonomen Arthur Okun wurde erstmals in den 1960er-Jahren berechnet. Er diente als bewusst einfach konstruierte Messzahl dazu, sich einen schnellen, aber aussagekräftigen Überblick über den Zustand der Wirtschaft verschaffen zu können. Dafür wurden schlicht die Werte der Arbeitslosenrate und Inflationsrate addiert – je höher der Index, desto „elender“ die wirtschaftliche Gesamtsituation. Diverse Forscher haben seither den ursprünglichen Index erweitert, verändert, und an neue Fragestellungen angepasst. Das Momentum Institut hat nun einen eigenen Corona-Elends-Index berechnet. Dazu werden zwei gesundheitliche und zwei wirtschaftliche Messgrößen miteinander verbunden:  

  • Inzidenz 

  • Todesfälle 

  • Anstieg der Arbeitslosigkeit 

  • Rückgang des Bruttoinlandsprodukts 

 

Die Stichprobe setzt sich aus 32 OECD-Staaten zusammen. Angegeben wird der Index im Schulnotensystem. Innerhalb dieser Gruppe erreicht Österreich ein “Befriedigend” und liegt mit einem Wert von 3,22 auf Platz 17. Sechzehn der betrachteten Länder wiesen eine niedrigeren Wert auf und sind daher besser durch die Krise gekommen als Österreich. Staaten, die in ihrer Pandemiepolitik eine No-Covid/Zero-Covid-Politik verfolgten (z.B. Australien, Südkorea) verzeichnen die besten Noten (dank niedrigerer „Elends“-Werte) und liegen am unteren Ende der Reihung. In diesen Ländern waren sowohl die gesundheitlichen als auch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bis dato weniger dramatisch als in vielen anderen Ländern.  

In Österreich halten sich gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen in etwa die Waage. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit spielt in Österreich eine wesentlich geringere Rolle als die vergleichsweise schlechte Entwicklung des Wirtschaftswachstums. Grund dafür dürfte die weit verbreitete Kurzarbeit sein, die in Österreich bis dato viele ArbeitnehmerInnen in Beschäftigung gehalten hat. Besonders drastisch wirkt sich die hohe Arbeitslosigkeit hingegen auf den Indexwert der USA aus. Was den Einbruch des Wirtschaftswachstums angeht, liegt Österreich mit einem Minus von 6,6% im Jahr 2020 nur auf Platz 24. Das Schlusslicht in diesem Bereich bildet Spanien. Am besten schnitt indes Irland ab. Hier wuchs die Wirtschaft sogar im Vergleich zum Vorjahr. Im Bereich der beiden gesundheitlichen Messzahlen liegt Österreich im Mittelfeld der betrachteten Länder. Das Land, das sowohl die meisten Infizierten als auch Toten je 100.000 Einwohner zu verzeichnen hat, ist Tschechien. Am besten schnitten hingegen Australien und Südkorea ab.

 

Wie errechnet sich dieser Index nun genau? Die ersten zwei Variablen umfassen die kumulierte Anzahl an Corona-Infizierten je 100.000 Einwohner zwischen dem Ausbruch der Pandemie und dem Stichtag 13. März, sowie die kumulierte Anzahl der Corona-Todesfälle je 100.000 Einwohner zwischen Pandemiebeginn und dem 14. März 2021. Die wirtschaftlichen Variablen umfassen die Veränderung der durchschnittlichen Arbeitslosenrate (internationale Berechnungsmethode) zwischen den Jahren 2019 und 2020, sowie die Veränderung der realen Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes zwischen 2019 und 2020. Für jeden dieser vier Bereiche erhält ein Land einen Wert zwischen null (bester Wert) und 1,25 (schlechtester Wert). Der Wert ergibt sich aus der relativen Position eines Landes zwischen dem besten und schlechtesten Wert dieser Kategorie. Summiert man die einzelnen Werte auf, ergibt sich der „Covid Misery Index“, welcher genau einen Wert zwischen null und maximal fünf annimmt. Dies lässt sich nun auch auf eine Art “Schulnotensystem” umlegen. Ein glatter Einser kann erreicht werden, wenn ein Land in allen vier Kategorien am besten abschneidet.  Dies entspräche dann dem „minimalen Elend“. Die Note sechs hingegen bedeutet „maximales Elend“, also der Kombination aus den vier jeweils schlechtesten Werten aller Länder in den vier Kategorien Arbeitsmarkt, BIP-Rückgang, Todeszahlen und Inzidenz. Die Daten zu Infektions- und Todeszahlen stammen von “Our World In Data”, die beiden wirtschaftlichen Indikatoren von der OECD

 

Wichtig festzuhalten ist, dass es sich beim „Covid Misery Index“ um ein Resümee der Vergangenheit handelt. Es wird dabei im Grunde ein internationaler Vergleich der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie seit deren Ausbruch hergestellt. In der Zukunft kann sich dieses Ranking selbstverständlich ändern – eine erfolgreiche Impfstrategie bietet dafür im Moment das größte Potential, entscheidende Veränderungen mit sich zu bringen. Auch das Ausmaß und die Treffsicherheit staatlicher Hilfsprogramme wird für die Entwicklungen der kommenden Monate von hoher Bedeutung sein. 

Ein Corona-Jahr in 12 Grafiken

Gegenüberstellung der Corona-Maßnahmen und ihrer Bezahlung durch die Aufkommensstruktur unseres aktuellen Steuersystems

Laut einer Analyse des Momentum Instituts (Hehenberger/Picek, 2021) profitieren von den Corona-Wirtschaftshilfen größtenteils Unternehmen. Sie erhalten jeden zweiten Euro der Corona-Mittel. ArbeitnehmerInnen bekommen nur 3,7 von 10 Euros, tragen aber eine viel größere Steuerlast, um die Corona-Gelder abzubezahlen: Fast 8 von 10 Krisen-Euros stammen von Steuern auf Arbeit und Konsum; nicht mal 1 von 10 Euros gehen auf Steuern auf Vermögen(szuwächse) und Unternehmensgewinne zurück.  

Die finanziellen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen in Österreich begünstigen unterschiedliche EmpfängerInnen. Eine Gender-Budgeting Analyse des Momentum Instituts (Hehenberger/Pixer, 2021) verdeutlicht vor allem die ungleichen Auswirkungen auf Männer und Frauen. Aufgrund der Begünstigung verschiedener Branchen und LetztempfängerInnen  entsteht eine Auszahlungslücke: Von allen Corona-Maßnahmen, die bis 2024 laut Budgetbericht mit insgesamt EUR 58,03 Mrd. dotiert sind, erreichen nur rund 42% Frauen. Und sogar noch weniger, nämlich 39,8% aller Personen, die über die endgültige Verwendung der Mittel bis 2024 für sich selbst oder für andere entscheiden können, sind weiblich. 

Corona brachte Rekordarbeitslosigkeit. Wie massiv die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt sind, zeigt sich in einem Vergleich der letzten Jahre, etwa mit der Finanzkrise nach 2008.

Die Kurzarbeit, eine Form der Arbeitszeitverkürzung von Angestellten bei gleichzeitigem Ausgleich der Lohnkosten durch den Staat, sicherte 2020 bis zu 1,2 Mio. Arbeitsplätze. Bis Dezember 2020 wurden 5,5 Mrd. Euro für die Kurzarbeit ausgegeben, besonders stark betroffen waren laut Daten des AMS jedoch wenige Sektoren: 25,5% (oder 1.399 Mio. EUR) aller Mittel flossen in die Branche „Herstellung von Waren“, 20,5% (oder 1.125 Mio. EUR) an den Handel und 11% (623 Mio. EUR) an die Gastronomie. Interessant ist außerdem der ungleiche Effekt auf Männer und Frauen: Laut einer Gender Budgeting Analyse des Momentum Instituts (Hehenberger/Pixer, 2021) fließen nur 39,5% der Gelder an Frauen. 

Auch jetzt ist die Maßnahme noch unerlässlich, um ArbeitnehmerInnen vor dem Jobverlust zu bewahren: Ende Jänner 2021 waren 470.000 Personen in Kurzarbeit gemeldet.1

1Quelle:https://www.ams.at/regionen/osterreichweit/news/2021/02/arbeitsmarkt-jaenner-covid-19-krise-laestt-arbeitslosigkeit-und-kurzarbeit-weiter-steigen  

 

 

Vor allem ArbeitnehmerInnen und Selbstständige leiden unter der Corona-Krise. Viele Beschäftigte sind in Kurzarbeit, weniger Stellenausschreibungen und steigende Arbeitslosigkeit durch Jobverluste zeichnen sich international als Folgen der Pandemie ab. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) berechnete die Arbeitsstunden, die im Vergleich zum Vorjahr aufgrund des Corona-Virus „verloren“ gegangen sind. Österreich befindet sich demnach im oberen Drittel beim coronabedingten Arbeitsverlust im internationalen Vergleich ausgewählter Länder. 

Als wohl häufigstes Maß für die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft wird der Verlust bzw. das der Rückgang des Bruttoinlandproduktes herangezogen. Der EU-Vergleich zeigt: Österreich erfuhr 2020 verhältnismäßig große Wirtschaftseinbußen. Obwohl seitens der Politik vielfach behauptet, ist dafür nicht allein der hohe Tourismusanteil in Österreich verantwortlich. Eine Analyse des Momentum Instituts (Picek/Huber, 2021) zeigt, dass vor allem das lange Zuwarten bei steigenden Infektionszahlen im Spätsommer und Frühherbst, wesentlich zum überdurchschnittlich starken Konjunktureinbruch im vierten Quartal 2020 beigetragen hat.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufangen, schnüren Staaten unterschiedliche Maßnahmenpakete, die fehlende finanzielle Mittel zurück in den Wirtschaftskreislauf pumpen sollen. Laut Internationalem Währungsfonds variiert die Höhe der Staatshilfen beträchtlich im EU-Vergleich: Von 42,3% des Bruttoinlandsprodukts (Italien) bis hin zu 5,5% (Rumänien). Österreich befindet sich mit 11% im Mittelfeld. 

Die Schließung der Schulen im Rahmen der Pandemie bedeutete hohe Zusatzbelastungen nicht nur für Mütter und Väter, sondern auch für Kinder. Eine Befragung im Auftrag des Momentum Instituts verdeutlichte die Auswirkungen des Bildungsstands der Eltern auf die Kinder, die durch solche Extremsituationen ans Licht kommen: Je höher der Bildungsabschluss der Eltern, desto eher können sie ihre Kinder beim Distance Learning unterstützen. Besonders Kinder aus Haushalten mit geringerem Bildungsstand laufen deshalb Gefahr, bei Schulschließungen zurück zu fallen. 

Die erste Welle des Corona-Virus traf die Welt im Februar und März 2020 unvorbereitet und mit voller Wucht. Ein Jahr später befinden wir uns immer noch inmitten der Pandemie – jedes Land verzeichnet inzwischen unterschiedliche Fall- und Todeszahlen. Es zeigt sich anhand aktueller Daten (Stand: 08.03.2021) jedoch ein ähnlicher, intuitiver Trend: Sobald die Fallzahlen pro 100.000 Einwohner steigen, steigen tendenziell die Todeszahlen. Die in der Grafik ersichtlichen sehr großen Unterschiede in Fall- und Todeszahlen können zum Teil auf unterschiedliche Reaktionen in der Pandemiebekämpfung rückgeschlossen werden, wenn man die Strenge der Maßnahmen (angegeben als „Stringency Index“ der Oxford Universität, der basierend auf unterschiedlichen Indikatoren höher ist, je strenger die Maßnahmen sind) unterschiedlicher Länder vergleicht. So hat Australien, das auffällig geringe Infektions- und Todeszahlen aufweist, auch nach der ersten Welle einen hohen Stingency Index – ist also den strengen Maßnahmen treu geblieben. Österreich hingegen zeigt einen deutlichen Knick in der Strenge der Maßnahmen über den Sommer. Fehlende Maßnahmensetzungen können dementsprechend der Grund für höhere langfristige Fall- und Todeszahlen sein. 

Der internationale Vergleich zeigt, dass Österreich deutlich mehr Fälle als Deutschland oder Dänemark zu verzeichnen hatte. Auch die Rezession ist in Österreich stärker als in vielen anderen europäischen Ländern.

Die Pandemie zeigt nicht nur kurzfristige Auswirkungen auf Personen in Kurzarbeit, Jobverluste und verlorene Arbeitsstunden. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit, also die Anzahl der Menschen, die seit mehr als 12 Monaten keinen Job finden, steigt dramatisch. Laut neuesten Daten der Arbeitsmarktdatenbank befindet sich Österreichs Langzeitarbeitslosigkeit derzeit auf einem Rekordhoch: Im Februar 2021 befanden sich fast 180.000 Menschen seit mehr als einem Jahr auf Jobsuche, mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten 17 Jahren. Eine alarmierende Zahl, für die sofort politische Gegenhandlungen gebraucht werden. 

Die Schließung der Schulen im Lockdown hat nicht nur Auswirkungen auf die Kinder. Eltern – vor allem Mütter – waren und sind durch Schulschließungen überbelastet. Eine Analyse des Momentum Instituts (Hehenberger/Muckenhuber, 2020) zeigt, dass das auch langfristige Folgen haben kann: Mütter verlieren durch einen geschätzten Verdienstentgang im Durchschnitt pro Kopf 5100 EUR an Lebenseinkommen. Bei Vätern sind es „nur“ 2500 EUR. In absoluten Werten, auf alle Eltern verteilt, bedeutet das einen finanziellen Unterschied von rund 800 Mio. EUR im Lebenseinkommen von Müttern und Vätern. 

Quirin Dammerer

Arbeitslosigkeit stieg im Jänner auf 535.000 Personen

Steigende Arbeitslosenzahlen

Die Arbeitslosigkeit stieg in den letzten Monaten weiter an und erreichte mit Stand 31. Jänner 335.000 Personen. Damit fehlen nur in etwa 50.000 Arbeitslose auf den Höchststand im April 2020. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg die Zahl der Arbeitslosen (inkl. SchulungsteilnehmerInnen) um knapp 115.000 an.

Regional sind weiterhin die westlichen Bundesländer am stärksten betroffen. Vor allem Tirol verzeichnete mit fast plus 120% einen enormen Zuwachs an Arbeitslosen.

Sowohl prozentuell als auch in absoluten Zahlen trifft die Krise die in der Gastronomie tätigen Menschen am härtesten. Hier hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahresmonat verdoppelt. Absolut sticht auch der Handel mit plus 15.000 Arbeitslosen hervor.

Im langjährigen Vergleich zeigt sich, dass (bis auf Oktober) jedes Monat der Corona-Krise zu einem stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit führte als der schlimmste Monat der Finanzkrise.

Gleichzeitig kam es in der Corona-Krise zu einem noch nie dagewesenen Einbruch an offenen Stellen. Das führte dazu, dass Ende Jänner beim AMS für neun Arbeitslose nur eine offene Stelle zur Verfügung stand.

Erhöhtes Arbeitslosengeld während Corona-Krise hätte EUR 1 Mrd. an Konsum gerettet

Einkaufsstraße

Österreich schlitterte durch die Auswirkungen der Corona-Krise in eine tiefe Rezession mit einem prognostizierten BIP-Einbruch von minus 7,3% (WIFO). Einher geht eine seit März anhaltende Rekordarbeitslosigkeit, die im April mit über 570.000 Menschen ihren Höhepunkt fand und auch seither in keinem Monat unter 400.000 gesunken ist. In den milliardenschweren Hilfspaketen der Bundesregierung finden sich nur wenige Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitslose. Dazu gehören neben der Aufstockung der Notstandshilfe auf das Niveau des Arbeitslosengelds zwei Einmalzahlungen für Arbeitslose in Höhe von bis zu EUR 450 pro Person. Diese erreichten aber aufgrund einschränkender Kriterien bei weitem nicht alle Arbeitslosen.

Eine allgemeine Erhöhung des Arbeitslosengelds wäre jedoch sowohl aus volkswirtschaftlicher Sicht als auch aus Sicht der Betroffenen sinnvoll. Eine solche Maßnahme hätte im bisherigen Krisenzeitraum schon knapp über EUR 1 Mrd. an Konsum erhalten können. Für das Jahr 2021 kann man durch anhaltende Lockdowns und Verzögerungen bei den Impfstoff-Lieferungen von ähnlich hohen Arbeitslosen-Zahlen ausgehen. Dann könnten erneut in etwa EUR 1,1 Mrd. an Konsum gerettet werden.

Österreichs Arbeitslosengeld ist zu niedrig und fließt fast zur Gänze in Konsum

Das österreichische Arbeitslosengeld ist im internationalen Vergleich niedrig. Es beträgt grundsätzlich 55% des Nettoeinkommens des (vor)letzten Kalenderjahres sowie allfällige Zuschläge. Eine Untergrenze bzw. ein Mindestarbeitslosengeld, welches die Existenz sichert, gibt es dabei nicht. Gleichzeitig sind vor allem Menschen mit geringem Einkommen von Arbeitslosigkeit betroffen. Kombiniert mit der niedrigen Nettoersatzrate führt das dazu, dass die Hälfte der Arbeitslosen weniger als EUR 928 pro Monat an Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bekommt (12 Mal im Jahr), wie eine Analyse des Momentum Instituts vom September zeigte.

Mittels der Konsumerhebung (2014/15) der Statistik Austria hat das Momentum Institut analysiert, dass die Hälfte der Arbeitslosen (49%) ihr gesamtes Einkommen wieder für Konsum ausgeben. Viele müssen auf Erspartes zurückgreifen, sich verschulden oder Geld von Bekannten ausleihen. 4 von 10 Arbeitslosen fehlen mindestens 144 Euro im Monat, um ihre Konsumausgaben zu decken, bei fast einem Viertel liegt die Konsumquote über 1,5 - das Arbeitslosengeld deckt hier also nur zwei Drittel des Konsums. Während das einerseits auf individueller Ebene für die Arbeitslosen zu großen Belastungen führt, ist es auch – vor allem in einer Jahrhundertkrise – volkswirtschaftlich vollkommen falsch hier nicht einzugreifen und das Arbeitslosengeld zu erhöhen. Umso mehr angesichts der derzeit de facto nicht vorhandenen Jobchancen, wo auf eine offene Stelle mehr als 10 arbeitslose Personen kommen.

Nettoersatzrate des Arbeitslosengelds auf 70% erhöhen

Eine Erhöhung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengelds von 55% auf 70% (bzw. um 15 Prozentpunkte für jede arbeitslose Person) hätte seit Beginn der Corona-Krise Mitte März 2020 knapp über EUR 1 Mrd. gekostet – Geld, das praktisch eins zu eins in den Konsum geflossen wäre und somit das Wirtschaftswachstum angekurbelt hätte. Im Vergleich dazu kostete die Senkung der Einkommensteuer von 25% auf 20% beinahe EUR 1,5 Mrd. Weil davon tendenziell Gutverdienende mit aktuell sehr hoher Sparneigung den vollen Entlastungsbetrag in Anspruch nehmen können (hinauf bis zur Vorstandsetage), landete ein Gutteil davon am Sparbuch, aber nicht als Umsatzeinnahmen bei den Unternehmen.

Arbeitslose nicht nur finanziell, sondern auch psychisch und gesundheitlich schwerer belastet

Laut einer Auswertung des Momentum Instituts wies schon vor der Pandemie ein Viertel (bzw. drei Mal so viel wie die restliche Bevölkerung) der Arbeitslosen einen schlechten Gesundheitszustand auf. Mehr als jede/r 8. Arbeitslose fühlt sich meistens niedergeschlagen oder von der Gesellschaft ausgeschlossen. Jede/r Dritte ist generell mit dem Leben unzufrieden. Wenig überraschend sagen 6 von 10, dass sie mit ihrer finanziellen Situation unzufrieden. Außerdem: Knapp 9 von 10 sind mit ihrer Jobsituation unzufrieden – beim Rest der Bevölkerung ist es genau umgekehrt (1 von 10).

Zu einem ähnlichen Bild kommen auch Untersuchungen von anderen Institutionen. Die Arbeiterkammer Oberösterreich berichtet im Arbeitsklimaindex vom Dezember 2020, dass 8 von 10 Arbeitslosen kaum oder gar nicht von ihrem Arbeitslosengeld leben können. Auch eine aktuelle SORA-Studie (2020) zeigt, dass sich die finanzielle Situation mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit weiter verschärft und ein steigender Anteil mit dem Arbeitslosengeld kein Auslangen mehr findet. So waren etwa 2019 81.000 Langzeitarbeitslose armutsgefährdet (AK OÖ).

Auch nach Wiederaufnahme von Beschäftigung haben viele noch mit „Spätfolgen“ der Arbeitslosigkeit zu kämpfen, wie aus der SORA-Studie hervorgeht. So gibt fast die Hälfte der Befragten an, auch Aufgaben außerhalb des eigenen Kernbereichs anzunehmen, um sich zu beweisen. 27% trauen sich nicht, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen und fast ein Viertel hat mehr Angst als früher, wieder den Job zu verlieren. Auch das Problem der Stigmatisierung zeigt sich, indem 43% jener, die unerwartet (also nicht durch eigene Kündigung) ihren Job verloren haben, angeben, sich dafür zu schämen, arbeitslos zu sein.

Kein Mangel an Mangelberufen

Facharbeiter

Mit 1. Jänner 2021 trat die neue Fachkräfteverordnung für das Jahr 2021 in Kraft. Das Arbeitsmarktservice (AMS) erstellt seit 2008 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Familie und Jugend (BMAFJ) eine Liste mit sogenannten „Mangelberufen“. Gibt es für einen Beruf laut AMS-Statistik eine gewisse Zahl an offenen Stellen im Verhältnis zu Arbeitslosen in Österreich, erlaubt das Gesetz österreichischen Firmen, auch Arbeitskräfte außerhalb des riesigen Wirtschaftsraums EU/EWR/Schweiz anzuwerben.

Angesichts der konstant hohen Arbeitslosenzahlen der letzten Jahre (2020: 470.000 Personen) erscheint es seltsam, dass sich die Zahl der in Frage kommenden Berufe von 2016 bis 2020 (von 8 auf 56) versiebenfacht hat. Auch im Jahr 2021 sinkt die Zahl der Mangelberufe trotz anhaltend hoher prognostizierter Arbeitslosigkeit nur gering von 56 auf 45 – inklusive der regionalen Mangelberufe in den einzelnen Bundesländern liegt sie sogar noch viel höher. Die Gesamtzahl der Berufe 2021 entspricht jener aus 2019 – ein Pandemiejahr mit Rekordarbeitslosigkeit gegenüber einem Jahr mit relativ guter wirtschaftlicher Entwicklung. Von einem Fachkräftemangel sind wir aktuell weit entfernt. Arbeitsminister Kocher sprach in seiner Antrittsrede davon, dass er erst in zwei bis drei Jahren wieder Thema sein könnte.

Was ist das Problem?

Mit 527 Millionen EinwohnerInnen innerhalb der EU, des EWR und der Schweiz steht österreichischen Unternehmen ein riesiger Wirtschaftsraum zur Verfügung, um ohne Einschränkungen Arbeitskräfte zu rekrutieren. Trotzdem stieg die Zahl der zu Mangelberufen erklärten Tätigkeiten in den letzten Jahren kontinuierlich an. DachdeckerInnen, SchweißerInnen, ZimmererInnen oder InstallateurInnen scheinen seit Jahren weder im riesigen EU-Wirtschaftsraum zu finden zu sein, noch in ausreichender Zahl in österreichischen Ausbildungsplätzen und Lehrstellen ausgebildet werden zu können. Selbst nicht-technische Berufe wie KellnerInnen oder Köche und Köchinnen stehen seit ein paar Jahren auf den regionalen Mangelberufslisten einiger Bundesländer – das heißt sogar innerhalb Österreichs, in angrenzenden Bundesländern, gibt es genügend Arbeitslose in diesen Berufen.

Gründe für den Mangel können somit (1) zu geringe Entlohnung, (2) zu schlechte Arbeitsbedingungen oder (3) zu wenig Ausbildungsaktivität (Lehrstellen) der Unternehmen sein, wobei ein höheres Angebot an Lehrstellen natürlich nur angenommen wird, wenn Arbeitsbedingungen und Entlohnung im zukünftigen Beruf als angemessen erscheinen. Betrachtet man die häufigsten Mangelberufe der letzten Jahre (Kriterium: seit 2012 mindestens fünf Mal in der Mangelberufsliste), zeigt sich, dass die Zufriedenheit der Arbeitslosen mit entsprechender Ausbildung sehr gering ist. Nur in wenigen Berufen (grün) wollen über zwei Drittel die Berufsrichtung beibehalten. Bei einem Großteil (hellrot) möchten sich zwischen einem Drittel und der Hälfte neu orientieren und beim Rest (dunkelrot) sogar mehr als die Hälfte.

Anteil der offenen Stellen im Leiharbeitssektor hoch

Ein Grund für den Wechselwunsch der Arbeitslosen nach ihren zuletzt ausgeübten Berufen könnte darin liegen, dass ein Großteil der offenen Stellen von Leiharbeitsfirmen angeboten wird. In den meisten der ausgewählten Mangelberufe sind es mehr als ein Drittel. Leiharbeit (offiziell: Arbeitskräfteüberlassung) bedeutet, dass man bei einer Personalleasingfirma angestellt ist, aber für verschiedene (andere) Unternehmen tätig wird. Sie ist mit großer Unsicherheit verbunden: Die Hälfte aller Leiharbeitskräfte ist weniger als 2 Monate durchgehend angestellt und jede zehnte wird im Krankheitsfall dazu gedrängt ihre Anstellung zu beenden. Leiharbeit betrifft vermehrt Personen mit Migrationshintergrund (2016: 45 %), außerdem gibt es große Gehaltsunterschiede zwischen Männern mit Leih- und Standardarbeitsverhältnis (Danzer, Riesenfelder & Wetzel, 2018).

Ab wann ist ein Beruf ein Mangelberuf?

Mangelberufe werden vom AMS anhand der sogenannten Stellenandrangsziffer berechnet. Diese erhält man, indem man (im jeweiligen Beruf) die beim AMS vorgemerkten Arbeitslosen1 (ohne Einstellzusage) sowie mit mindestens Lehrausbildung durch die beim AMS gemeldeten offenen Stellen2 mit Mindestanforderung Lehrabschluss dividiert. Liegt sie unter 1,5 kommt ein Beruf als Mangelberuf in Frage. Berufe mit Werten zwischen 1,5 und 1,8 können berücksichtigt werden, wenn weitere Mangelindikatoren, wie z.B. eine „erhöhte Ausbildungsaktivität der Betriebe“ vorliegen oder der Beschäftigungszweig eine „überdurchschnittlich steigende Lohnentwicklung“ aufweist.

Regionalisierung der Mangelberufe führte zu Verdopplung

Seit der unternehmerfreundlichen Reform der Fachkräfteverordnung 2019 können zusätzlich auch regional, das heißt nur in bestimmten Bundesländern, Berufe auf die Liste gesetzt werden, wenn die erläuterten Kriterien zutreffen.3 Dieses Angebot wird seitdem auch stark in Anspruch genommen. Trotz zehntausenden zusätzlichen Arbeitslosen 2020 und vermutlich auch 2021 wird dadurch die Zahl der Mangelberufe in manchen Bundesländern von 45 auf 100 mehr als verdoppelt.

Am stärksten wird diese Möglichkeit in Oberösterreich genützt. Hier werden gleich 43 zusätzliche Berufe als Mangelberufe deklariert, obwohl es für viele dieser Berufe in Österreich genügend Arbeitssuchende gibt. Dabei handelt es sich auch nicht nur um technische Berufe – gesucht werden unter anderem auch FriseurInnen, BäckerInnen, FleischerInnen, KellnerInnen oder Köche und Köchinnen. Lässt man den „Markt“ arbeiten, müssten die Gehälter dieser Gruppen bei einem tatsächlichen Mangel steigen, weil sich Unternehmen um die gesuchten Arbeitskräfte mit höheren Gehaltsangeboten überbieten. Das lässt sich jedoch bei diesen Berufen nicht beobachten. Für Köche und Köchinnen beispielsweise stagnierten die Bruttomediangehälter in den letzten fünf Jahren.

Handlungsempfehlungen

Sofortmaßnahmen:

  • Nicht-technische Berufe von der Mangelberufsliste 2021 nehmen, bis die Pandemie auch am Arbeitsmarkt vorüber ist

Generelle Reform des Ausländerbeschäftigungsgesetz im Bereich Fachkräfteverordnung/Mangelberufsliste:

  • Nur Berufe als Mangelberufe zulassen, bei denen starke Lohnsteigerungen als deutliches Signal eines Mangels zu beobachten waren
  • Regionalisierung der Mangelberufsliste beenden – Österreich ist zu klein
  • Verstärkte Ausbildungsaktivität der betroffenen Branchen und Betriebe fördern, aber auch einfordern, bevor Berufe auf die Mangelberufsliste gesetzt werden
  • Offene Leiharbeitsstellen nicht zur Berechnung der Stellenandrangsziffer in der Mangelberufsliste verwenden

 

In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung auch nicht-technische Berufe auf der Liste zugelassen. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit 2021 ist es jedoch völlig verfehlt, noch zusätzliche Arbeitskräfte außerhalb der Europäischen Union in den österreichischen Arbeitsmarkt zu holen und so die Konkurrenz um die wenigen Arbeitsplätze und den Lohndruck nach unten weiter zu verstärkten.

Trotz Rekordzahl an Arbeitslosen ging die Zahl der österreichweiten Mangelberufe 2021 nur geringfügig von 56 auf 45 zurück. Durch die 2019 eingeführten regionalen Mangelberufe erhöht sich die Anzahl jedoch auf mehr als das Doppelte. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Oberösterreich, das 43 zusätzliche Mangelberufe ausweist, diesen Bedarf nicht in Österreich oder der gesamten restlichen EU bei entsprechenden Arbeitsbedingungen und Löhnen decken können soll. Die regionale Mangelberufsliste sollte wieder abgeschafft werden, um Betriebe dazu zu animieren, ArbeitnehmerInnen aus anderen Bundesländern (sowie restliche EU/EWR/Schweiz) durch bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter anzuwerben.

Unter den hunderttausenden Arbeitslosen finden sich auch tausende Lehrstellen-Suchende, die ohne Ausbildungsplätze dastehen. Betriebe, die "händeringend" nach Arbeitskräften suchen, müssten die Situation als Chance begreifen, gezielt mit zusätzlichen Ausbildungsplätzen junge Lehrstellensuchende anzustellen.

Ein Großteil der offenen Stellen in Mangelberufen, für die sich seit Jahren nicht genug Arbeitskräfte finden, sind Leiharbeitsstellen. Leiharbeit ist oftmals eine Form prekärer Arbeit, die von schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigerer Entlohnung geprägt ist. Anstatt diese Form der Beschäftigung zu unterstützen, sollten offene Leiharbeitsstellen nicht für die Berechnung der Stellenandrangsziffer (und somit der Mangelberufsliste) herangezogen werden. Dies würde zu einer Streichung vieler Berufe von der Mangelberufsliste führen, was in weiterer Folge ein erhöhtes Bemühen der Betriebe attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen, bewirken könnte.
 

 

Nur mit Status AL, somit keine SchulungsteilnehmerInnen o.ä.

2 Nur bei Berufen mit mehr als 20 offenen Stellen. Leiharbeitsstellen (Wirtschaftsabteilung 78) gehen dabei nur zu 90% in die Berechnung mit ein.

3 Die auf diese Weise nach Österreich kommenden Facharbeitskräfte dürfen dann nur in diesen Bundesländern angestellt werden.

Die Pandemie der Arbeitslosigkeit

Die Pandemie der Arbeitslosigkeit

Mehr als 171.000 Menschen, ein neuer Allzeitrekord. Noch nie waren in der Zweiten Republik so viele über ein Jahr lang auf Jobsuche wie im Dezember. Von über einer halben Million Arbeitslosen ist damit knapp ein Drittel langzeitarbeitslos. Die Corona-Pandemie wird zur Pandemie der Arbeitslosigkeit.

Wer länger auf Arbeitssuche ist, verliert Geld, Qualifikationen, und Selbstvertrauen. Manche reden einem ein, dass man sich für Arbeitslosigkeit schämen müsse. Besonders gerne wird Faulheit und eigenes Verschulden unterstellt, obwohl die Betroffenen hunderte Bewerbungen schreiben. Die Folge: Gar nicht wenige Arbeitslose ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück oder bekommen gesundheitliche Probleme. Ein Teufelskreis, der die Chance auf einen neuen Job erst recht immer weiter verringert.

In Wahrheit gibt es einfach zu wenig bezahlte Arbeit. Die Unternehmen bieten nicht genügend Jobs an, der Staat kürzt seit Jahren Stellen, immer mehr Leute bleiben über. Weitere Negativrekorde sind angesichts der tiefen Wirtschaftskrise nur eine Frage der Zeit.

Was also tun? Solange eine Corona-Impfung nicht flächendeckend verfügbar ist und die Lage am Arbeitsmarkt derart katastrophal bleibt, hilft nur eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes, um zumindest die finanziellen Sorgen der Menschen zu lindern. Danach braucht es aber einen Masterplan zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit.

Ein kräftiges Konjunkturpaket, öffentlich geförderte Jobs für Langzeitarbeitslose und einen Ausbau der staatlich finanzierten Arbeitsplätze im Pflege-, Bildungs-, und Gesundheitsbereich. Zudem sollten Langzeitarbeitslose mit gleicher Qualifikation bei öffentlichen Stellenausschreibungen bevorzugt werden. Das muss die Bundesregierung jetzt in Angriff nehmen – bevor noch mehr Menschen nach der Pandemie ohne Perspektive dastehen. Denn hinter jeder und jedem von ihnen verbirgt sich ein konkretes Schicksal.

 

2. Lockdown: Arbeitslosigkeit steigt wieder

Steigende Arbeitslosenzahlen

In den neuen Arbeitslosenzahlen für den November macht sich der Kontrollverlust über Corona und der 2. Lockdown bereits massiv bemerkbar. Gegenüber dem Vormonat stieg die Arbeitslosigkeit um rund 33.000 Personen auf über 457.000 Menschen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat nahm der Anstieg der Arbeitslosigkeit erstmals wieder zu. Die Arbeitslosenquote (inkl. SchulungsteilnehmerInnen) lag im November bei 10,9%.

Die Corona-bedingte Arbeitslosigkeit stieg innerhalb eines Monats stark um über 20.000 auf 91.247 Personen. Im November 2020 waren damit um rund 25% mehr Menschen arbeitslos oder in Schulung als im November 2019. Eine nach wie vor katastrophale Lage am Arbeitsmarkt. Steigende Zahlen bei der Kurzarbeit haben höhere Arbeitslosenzahlen verhindert. Mit 276.370 Personen in Kurzarbeit sind das knapp 80.000 mehr als vor 2 Wochen. Bisher konnten Kurzarbeit und der (sehr teure) Umsatzersatz die negativen Arbeitsmarkteffekte des 2. Lockdowns dämpfen.

Betrachtet man die Entwicklung der Arbeitslosigkeit differenziert nach verschiedenen Branchen, so zeigt sich der stärkste Anstieg wenig überraschend in der Gastronomie (plus 43%), gefolgt vom Verkehrsbereich mit plus 40% und dem Handel mit plus 29%.

Eine weitere Betrachtung der Entwicklung nach Altersgruppen zeigt, wie stark die Krise die Mitte der Gesellschaft trifft. In der Gruppe der 25-49-Jährigen, also während der Haupterwerbstätigkeit, stieg der Arbeitslosigkeit am stärksten.

Wir erwarten eine saisonal steigende Arbeitslosigkeit bis in den Jänner. Wie stark die Infektionszahlen sinken und wie sehr eine Lockerung der gesundheitlichen Maßnahmen möglich ist, wird die entscheidende Frage für die Entwicklung der Corona-Arbeitslosigkeit sein.

Über 500.000 Arbeitsplätze durch steigende Infektionen & zweiten Lockdown potentiell bedroht

Das Wort "Lockdown" aus Scrabblesteinen geformt

Wieviele Jobs sind durch die Explosion der Infektionszahlen und den zweiten Lockdown im November bedroht? 132.000 Arbeitsplätze sind unmittelbar stark gefährdet und weitere 383.000 indirekt und somit teilweise in Gefahr. Das besagt eine Schnellanalyse des Momentum Instituts.

Nimmt man den ersten Lockdown sowie die geplanten Schließungen als Maßstab, sind rund 132.000 Jobs akut gefährdet. Diese befinden sich in den drei von den Schließungen am stärksten betroffenen Wirtschaftsbranchen Gastronomie & Hotellerie, Kunst & Unterhaltung, und sonstige Dienstleistungen (inklusive z.B. Kosmetik- und Massagestudios).

Wie schon im Lockdown ab Mitte März werden wichtige Branchen indirekt betroffen sein - beispielsweise durch die Zurückhaltung der KonsumentInnen oder weniger Aufträge. Dadurch sind weitere rund 383.000 Arbeitsplätze indirekt gefährdet, vor allem in dem Bereichen Handel, Industrie sowie Verkehr.

'Ein zweiter Lockdown trifft den Arbeitsmarkt wieder extrem hart. Er könnte über 500.000 Jobs kosten, falls die Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit diesmal weniger nutzen', stellt Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts, fest.

Das Momentum Institut empfiehlt daher eine Anhebung des Arbeitslosengelds auf zumindest 70% der Nettoersatzrate, weil die Zahl der offenen Stellen im November erneut rapide zusammenschrumpfen wird. Des Weiteren kann eine verordnete Senkung der notwendigen Mindestarbeitszeit für Kurzarbeit (Phase 3) in besonders betroffenen Branchen die Jobverluste begrenzen.

Rund 94.000 Arbeitsplätze sind in einer Reihe weiterer Branchen zwar relevant, aber diesmal potenziell weniger betroffen als im Frühjahr. Der Unklarheit, mit der Baufirmen auf dem letzten Lockdown verschiedentlich reagiert haben, dürfte diesmal wegfallen.

Die Schätzung des Momentum Instituts stützt sich auf Erfahrungen aus dem 1.Lockdown kombiniert mit einer ersten Einschätzung des 2. Lockdowns. Als gefährdete Jobs gezählt haben die WirtschaftsforscherInnen Arbeitsplätze, die im 1. Lockdown (April) verschwanden, aber bis September von den Betrieben wieder besetzt wurden. Das inkludiert Arbeitslose, die wieder eingestellt wurden, sowie knapp über die Hälfte der KurzarbeiterInnen (55%), wenn die tatsächlich ausgefallene Arbeitszeit aus den Abrechnungen der Kurzarbeit berücksichtigt wird. So werden in der konservativen Berechnung nur Arbeitsplätze gezählt, die entweder schon einmal verloren gegangen sind oder nur aufgrund der Kurzarbeit erhalten geblieben sind.

'Die knapp 400.000 Arbeitslosen vor Corona sowie 70.000 Corona-Arbeitslose sind in der Rechnung der aktuell bedrohten Jobs gar nicht enthalten', erläutert Oliver Picek.

Mit dem Auslaufen des ersten Lockdowns haben die Betriebe hundertausende Beschäftigte aus der Kurzarbeit zurückgeholt und Zehntausende Arbeitslose wiedereingestellt. Dennoch blieben knapp 70.000 Arbeitslose mehr als vor dem Lockdown arbeitslos (im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres) und rund 160.000 KurzarbeiterInnen weiterhin auf reduzierter Arbeitszeit (tatsächliche Abrechnungen des AMS, Stand August).

Oliver Picek

Gender Pay Gap: Frauen verlieren überall

Mind the Gap

Im Jahr 2018 betrug der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei den mittleren Bruttojahreseinkommen knapp 37%. Während die Hälfte der unselbständigen Männer weniger als EUR 34.700 brutto im Jahr aus Erwerbstätigkeit verdiente, bekam die Hälfte der unselbständigen Frauen weniger als EUR 22.000 brutto – ein Unterschied von EUR 12.700. Diese Zahl ist unbestritten einer der wichtigsten Indikatoren, um die Geschlechterungerechtigkeit abzubilden, denn Erwerbseinkommen sind neben staatlichen Transfers für (die untersten) 99% der Bevölkerung die wichtigste Einkommensquelle. Der Gender Pay Gap hat jedoch über die Erwerbstätigkeit hinaus Auswirkungen: Frauen bekommen weniger Pension, weniger Arbeitslosengeld und haben ein geringeres Vermögen - unter anderem, weil sie weniger erben.

Wie lassen sich die Gender Gaps beseitigen?

Die Reduzierung bzw. Beseitigung des Gender Pay Gaps und der daraus resultierenden Differenzen bei Arbeitslosengeld und Pensionen (sowie indirekt auch beim Nettovermögen) kann nicht mit einzelnen, wenigen Maßnahmen erreicht werden. Die (ökonomische) Ungleichbehandlung von Frauen ist eine Folge von jahrhundertealten und tief in der Gesellschaft verankerten Rollenbildern sowie der strukturellen Benachteiligung von Frauen. Solange der Wert von unbezahlter sowie bezahlter Arbeit in den Bereichen Pflege, Erziehung und Betreuung nicht steigt, wird sich der Gender Pay Gap niemals vollständig beseitigen lassen. Folgende Maßnahmen können aber zumindest dazu beitragen, die Differenz zu minimieren.

Handlungsempfehlungen:

  • Sicherstellung von flächendeckenden, umfassenden und kostenlosen Kinderbetreuungsmöglichkeiten
  • Ausbau der öffentlichen Beschäftigung in systemrelevanten und gesamtwirtschaftlich sinnvollen Bereichen bei einem Mindestlohn von EUR 1.800 brutto
  • Höhere Bewertung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten
  • Starke Erhöhung einer von Familienstand und PartnerInneneinkommen unabhängigen Ausgleichszulage
  • Mehr Gehaltstransparenz und Verbot von ungleicher Bezahlung für dieselbe Tätigkeit
  • Gerechtere Verteilung der Arbeitszeit: Einführung einer 30-Stunden-Woche
  • Eigenes Frauenministerium mit deutlich erhöhtem Budget
  • Verbesserung der Datengrundlage für Wissenschaft und Forschung im Bereich Geschlechterungleichheit: Neuauflage der Zeitverwendungsstudie sowie detailliertere Erfassung von Vermögen und Erbschaften

 

Unser Policy Brief im Detail:

Anna Hehenberger